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Antwort: “Thyssenkrupp-Stahlwerk: Warum starb Refat Süleyman?” (die Zeit, August 2023)

Ein neues Dossier in “Die Zeit” offenbart Insiderinformationen über die Ermittlungen zum Tod von Refat Süleyman. Darin wird der derzeitige Stand der polizeilichen Ermittlungen zitiert, die darauf hindeuten, dass sein Tod von möglicherweise “ eklatante(n) Verletzungen(n) gegen Arbeitssicherheitsvorschriften” zumindest begünstigt wurde.

Der Artikel zeigt außerdem auf, dass @Thyssenkruppsteel sich bis heute weigert, Verantwortung zu übernehmen und der Familie des verstorbenen Arbeiters keine Unterstützung angeboten hat.

„Stolipinovo in Europa“ hat in den vergangenen sieben Monaten viel in der Unterstützung der Recherchen für diesen Artikel gearbeitet. Wir haben Hintergrundinformationen über die Arbeits- und Lebensbedingungen von Migrant*innen in Marxloh und den benachbarten Bezirken geliefert, haben Kontakte zu Arbeiter*innen und der weiteren Community vermittelt, und haben mit Rat und kritischen Anmerkungen zur Seite gestanden. Uns wurde immer wieder versichert, dass die Perspektive der Arbeitsmigrant*innen und ihrer Familien eine zentrale Rolle spielen und der Bericht etablierte Stereotype in Frage stellen wird.

Es ist wichtig, dass der Tod von Refat Süleyman und die ausbeuterischen Praktiken in der Industriereinigung endlich diese unbedingt nötige Aufmerksamkeit erhalten. Wir erkennen hierbei auch die Einschränkungen an, denen eine solche Medienberichterstattung unterliegt. Allerdings fühlen wir uns auch verpflichtet, auf einige der problematischen Darstellungen und Lücken in dieser Veröffentlichung hinzuweisen.

Mit Enttäuschung stellen wir fest, dass die Ansichten und Aussagen der zahlreichen befragten Arbeiter*innen nicht in den Artikel aufgenommen wurden, in dem sich nur eine Migrant*innenstimme und ein kurzes Zitat wiederfinden. Damit wird, wie oft üblich, die meiste Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit den Behörden, Thyssenkrupp und anderen Akteuren gewidmet, die bereits Machtpositionen gegenüber der Migrant*innen-Community innehaben. Der Artikel berücksichtigt nicht die Berichte bulgarischer Arbeiter*innen über unzureichende Gesundheits- und Sicherheitsanweisungen bei der Eleman GmbH und anderen Zeitarbeitsfirmen, über den ständigen Druck, gefährliche Aufgaben auszuführen, die oft ohne Schutzausrüstung erledigt werden, und über die Weigerung der Arbeitgeber, Verbesserungswünsche zu berücksichtigen. Es fehlen außerdem die zahlreichen Berichte von Migrant*innen im Rahmen der Recherche über ihre Erfahrungen mit Diskriminierung und Rassismus seitens der Duisburger Stadtverwaltung, des Jobcenters, der Ausländerbehörde und verschiedener Dienstleister. Auch die katastrophalen Auswirkungen des polizeilichen „Vorzeigeprojekts“ der Duisburger Polizei mit seinen massiven Verkehrskontrollen, alltäglicher Kriminalisierung und tlw. willkürlichem Handeln durch Beamt*innen werden nicht erwähnt. Zum Beispiel die Tatsache, dass der von der Stadt ausgerufene Feldzug gegen ausländische Autokennzeichen einer gezielten Gängelung von Migrant*innen gleichkommt, ihre Lebenssituationen massiv verschlechtert und dabei gesetzliche Regelungen zur vorübergehenden Nutzung ausländischer KfZ ignoriert oder missachtet. Oder die regelmäßigen Razzien, die Polizei und Ordnungsamt in Cafés und anderen Einrichtungen durchführen und dabei Menschen so lange festhalten, bis selbst kleinste Strafbeträge für vergangene Ordnungswidrigkeiten an Ort und Stelle bezahlt werden. Diese Erfahrungen geben zusätzliche Antworten auf die Frage des Artikels, warum die Menschen so wütend sind und verdeutlichen, wie berechtigt diese Wut ist.

Statt auf diese Aspekte einzugehen, befasst sich der Artikel mit Infragestellung der Ernsthaftigkeit des muslimischen Glaubens der Menschen oder ihres Commitments zur Erziehung ihrer Kinder, und gibt problematische Stereotype über die Fixiertheit der Migrant*innen auf leicht verdientes Geld oder ihre „befremdlichen Traditionen“ wieder.

Wir bestehen darauf, dass diesen Fakten, Erfahrungen und Perspektiven der gebührende Platz eingeräumt wird und bedauern, dass dies im vorliegenden Artikel nicht der Fall ist. Damit dies nicht so bleibt, planen wir in absehbarer Zeit eine Pressekonferenz zur öffentlichen Besprechung folgender Punkte:

– aktuelle bekannter Stand der Ermittlungen zum Tod von Refat Süleyman

– Perspektiven von Arbeiter*innen zu den Arbeitsbedingungen bei Thyssenkruppsteel und des Geflechts seiner Subunternehmen in der Industriereinigung

– Vorschläge zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen sowie Restrukturierung im Leiharbeits- und Subunternehmensektor und laufende Initiativen in diese Richtung

Original (die Zeit, August 2023): https://www.zeit.de/2023/33/thyssenkrupp-stahlwerk-duisburg-refat-syuleyman-tod-leiharbeiter