Statements

Solidarität, aber nur nach Drehbuch?

Gestern, am 14.5. haben zwei Mitglieder von „Stolipinovo in Europa e.V.‘ bei der Konferenz gewerkschaftliche Erneuerung der Rosa-Luxemburg-Stifung in dem Workshop ‘Solidarische Antworten auf Inflation, Krieg und Klimakrise – Rechtspopulismus im Betrieb den Boden entziehen’ um die Möglichkeit gebeten, spontan ein Statement beizutragen.

Der Verein steht für die Rechte und Unterstützung osteuropäischer Arbeitsmigrant*innen in Duisburg und Umgebung ein.

Im genannten Workshop sollte durch den angebotenen Beitrag eine migrantische Perspektive auf die Lage ausländischer Arbeitnehmer*innen und ihre überdurchschnittliche Betroffenheit von Ausbeutung und schlechten, gefährlichen sowie prekären Arbeitsbedingungen dargestellt werden. Dabei wollten unsere Kollegen auch auf den Fall von Refat Süleyman aufmerksam machen, der emblematisch für die Ungleichbehandlung und Diskriminierung von Arbeitsmigrant*innen auf dem Arbeitsmarkt und in Betrieben ist. Dieser immer noch nicht aufgeklärte Todesfall des 26 Jahre alten Leiharbeiters bulgarisch türkischer Herkunft hat auch vor Augen geführt, dass Unternehmen wie Thyssen Krupp, aber auch führende Gewerkschaften wie die IG-Metall nicht bereit sind in angemessenem Maße Verantwortung zu übernehmen und schutzlose Arbeitnehmer*innen im Falle von Betriebsunfällen oder Todesfällen adäquat zu unterstützen.

Nach der Mitteilung an den Moderator und die Vortragenden 30 Minuten vor Beginn und erneuter Besprechung direkt vor Beginn des Workshops wurde den beiden Aktivisten mitgeteilt, dass der Vorschlag zu spontan sei und nicht umgesetzt werden könne. Aus dem Publikum gab es auf Nachfrage keine Unterstützung für den Vorschlag. Neben der Weigerung, dem Vorschlag Gehör zu geben, drängte der Moderator einen der beiden Kollegen, eine vom Vorfall erstellte Videoaufnahme auf der Stelle zu löschen.

Die Bitte an die Tagungsleitung den beiden Aktivisten beim Plenum einen Redebeitrag zu ermöglichen, wurde ebenfalls als zu spontan und unpassend abgelehnt.

Diese Erfahrung zeigt, dass trotz aller Propagierung von Solidarität und Integration es noch keine adäquaten Räume für Austausch mit und das Anhören von migrantischen Anliegen durch Gewerkschaften gibt.

100% deutschsprachige Veranstaltungen mit Panels und Vorträgen können diese Funktion jedenfalls nicht erfüllen.

Wirkliche Solidarität muss mehrsprachig im Format, offener und auch spontaner sein, um Menschen mit Migrationshintergrund einen Raum und eine Gelegenheit zur Artikulation und Teilhabe im Sinne einer inklusiven Arbeiter*innenbewegung zu geben. Da es sich genuin um Themengebiete der Bewegung handelt – Arbeitssicherheit, Migration, Ausbeutung – wäre eine offizielle Einladung der Aktivist*innen vorweg ohnehin geboten gewesen.

Im Zuge der Beanspruchung dieses Raumes stellen wir im Folgenden den für gestern geplanten Redebeitrag zur Verfügung.

Besonderer Dank geht an Peter Berens und solidarische Gewerkschafter*innen, die lieber anonym bleiben möchten, für die Vermittlung und den Einsatz für dieses Anliegen.

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Guten Tag und danke für die Möglichkeit hier zu sprechen.

Wir sind Nasko und Ferdinand, aktive Mitglieder im Verein Stolipinovo in Europa e.V., benannt nach einem Stadtteil in der bulgarischen Stadt Plovdiv, der für seine große kulturelle Diversität aber auch für kulturelle und wirtschaftliche Diskriminierung und Marginalisierung bekannt ist.

Stolipinovo in Europa ist ein gemeinnütziger Verein, der sich für die Rechte und Interessen von Migrant*innenengemeinschaften aus Osteuropa in Duisburg und Umgebung einsetzt. Die Idee zur Gründung des Vereins stammt von bulgarischen Arbeitsmigrant*innen, die entschieden haben, dass die Situation bulgarischer, rumänischer und anderer Arbeitsmigrant*innen in Westeuropa nicht mehr ohne Widerstand hinnehmbar ist.

Auch wenn wir die Bemühungen von Thyssen Krupp und der IG Metall anerkennen, müssen wir kritisieren, dass diese nicht ausreichend Verantwortung übernommen  und Position im Todesfall von Refat Süleyman bezogen haben. Die Leiche von Refat Süleyman, einem 26-jährigen türkischstämmigen bulgarischen Staatsbürger, wurde am 17.10.2022 nach einer dreitägigen polizeilichen Durchsuchung auf dem Gelände des ThyssenKrupp-Werks in Duisburg Bruckhausen gefunden. Refat, der wenige Tage zuvor von einem Subunternehmen als Reinigungskraft eingestellt worden war, wurde am frühen Morgen des 14.10.2022 zu einem anderen Subunternehmen ausgeliehen und verschwand wenig später spurlos.

Die genauen Umstände von Refats Tod sind bis heute ungeklärt.

Öffentliche Schilderungen der Polizei und Staatsanwaltschaft bleiben bislang sehr vage. Sie deuten zwar auf einen “tragischen Unfall” als Todesursache hin, lassen aber wichtige Fragen unbeantwortet, z.B was Videoaufnahmen am Ort des angeblichen Unfalls und Hinweise auf Gewalteinwirkung angeht. Dies beunruhigt Refats ehemaligen Kolleg*innen und die breite Öffentlichkeit zutiefst. Diese Fragen betreffen v.a. den Arbeitsschutz und die Sicherheitsvorkehrungen bei ThyssenKrupp-Steel,  beziehen sich aber auch auf grundlegende Arbeitsrechte und Arbeitsstandards in der Industriereinigung.

Dementsprechend stellen wir folgende Forderungen. Hierbei bitten wir die anwesenden Gewerkschaftsmitglieder für deren Umsetzung und Unterstützung.

(1) Wir fordern, dass die zuständigen Aufsichtsbehörden, insbesondere die Arbeitsschutzbehörde, das ThyssenKrupp-Werk in Bruckhausen , sowie alle anderen ThyssenKrupp-Werke umfassend überprüfen, ob sie ein menschenwürdiges Arbeitsumfeld in der Gebäudereinigung bieten und , ob die gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen eingehalten werden. Wir fordern, dass Maßnahmen zur Arbeitsinspektion und die Durchsetzung geltender Regeln ggf. durch Sanktionen sichergestellt und effektiver gestaltet werden, um Verantwortlichkeiten klar zu definieren und die Beseitigung bzw. Minimierung von Gesundheitsrisiken für alle Arbeitnehmer*innen zu gewährleisten.

(2) Wir fordern eine umfassende Untersuchung des Geflechts von Subunternehmen, in denen das industrielle Reinigungspersonal von ThyssenKrupp beschäftigt ist. Besonders im Fokus stehen sollen without sollen dabei ihre Vertragspraktiken, die theoretisch geforderten Sicherheitsschulungen und Gesundheitskontrollen , sowie die Abweichung von formellen und tatsächlichen Arbeitspflichten, die den Beschäftigten auferlegt werden. Insbesondere sollte die Tätigkeit der Subunternehmen Eleman GmbH und OPS GmbH, für die Refat Süleyman tätig war, sowie der Buchen GmbH, der er kurz vor seinem Verschwinden ausgeliehen wurde, sorgfältig überprüft werden. In Anbetracht der Gleichgültigkeit und mangelnden Übernahme von Verantwortung für den Tod von Refat muss die Zusammenarbeit mit diesen Unternehmen und allen zu ihnen gehörigen und ggf. mit ihnen verbundenen Firmen mit sofortiger Wirkung beendet werden.

(3)  Wie das bisherige Ausbleiben von Konsequenzen von dem Tod von Refat Süleyman zeigt, führt der Einsatz von Subunternehmen mit ihren undurchsichtigen Vertragspraxen in der Reinigungsbranche zu einem intransparenten Geflecht von Akteuren. Sie umschiffen Fragen der Arbeitssicherheit und vermeiden effektiv die Haftung und Verantwortungsübernahme für Unfälle und Todesfälle. Daher fordern wir ein Ende der Zusammenarbeit mit Leihfirmen in allen ThyssenKrupp-Werken und die Einstellung von Reinigungs- und anderem Hilfspersonal mit regulären Verträgen, mit sicheren Arbeitszeiten, mit den erforderlichen Sicherheitsschulungen und Gesundheitskontrollen sowie mit garantierten Kranken- und Sozialversicherungsbeiträgen.